Fotosammlung tschamischer Flüchtlinge
English | Shqip
Albanien 1945
Bei den Tschamen, griechisch auch Tsamides genannt, handelt es sich um eine albanische
Bevölkerungsgruppe, die im äußersten Süden des albanischen Sprachgebietes wohnhaft ist/war. Ihr
Gebiet, Tschameria, befindet sich im albanisch-griechischen Grenzbereich, wobei der bei weitem
größere Anteil der Tschameria zur griechischen Region Epirus gehört und den Präfekturen von
Thespotien und Prevesa entspricht. Ein kleiner Teil der Tschameria befindet sich im südlichsten
Zipfel Albaniens, im Umland von Konispol.
Als im Balkankrieg des Jahres 1912 griechische Streitkräfte Tschameria und Epirus überrannten,
befanden sie die Tschamen plötzlich in Griechenland, abgetrennt vom albanischen Mutterland.
Nach dem Fall des Osmanischen Reichs wurde dieses Gebiet definitiv griechisch.
Im Zweiten Weltkrieg wurden Tschameria und Griechenland von italienischen Truppen angegriffen
und dann ab 1943 von deutschen Streitkräften besetzt. Viele Tschamen hatten die Okkupanten in
der Tat als „Befreier vom griechischen Joch“ betrachtet. Mit dem Rückzug deutscher Truppen aus
Griechenland im Herbst des Jahres 1944 befand sich das Gebiet in den Anfängen eines blutigen
Bürgerkrieges. Um die ionische Küste für Militärtransporte abzusichern, ermutigten die Briten
einen örtlichen Militärkommandanten, General Napoleon Zervas (1891-1957), dazu, die Macht in
der Region zu übernehmen. Als Begründer und Führer der griechischen Widerstandsbewegung,
Nationale Republikanische Griechische Liga (Ethnikós Demokratikós Ellenikós Sýndesmos –
EDES), wurde Zervas für seine äußerst brutale von Juni 1944 bis März 1945 durchgeführte
ethnische Säuberung der Albaner der Tschameria bekannt und berüchtigt. Er betrachtete die
Tschamen kollektiv als Kollaborateure mit den Italienern und Deutschen und wollte sich rächen.
Einige Tausend albanischer Männer, Frauen und Kinder der Tschameria wurden während seiner
Übergriffe ermordet. Am 27. Juni 1944 eroberten seine Männer beispielsweise die Stadt
Paramythia und töteten in einer Gewaltorgie ca. 600 muslimische Tschamen - Männer, Frauen und
Kinder. Viele Opfer wurden vergewaltigt und verstümmelt, bevor sie getötet wurden. Ein anderes
griechisches Bataillon griff am folgenden Tag Parga an, wo 52 weitere Albaner ermordet wurden.
Am 23. September 1944 wurde die Stadt Spatar bei Filat (Filates) geplündert und 157 Menschen
wurden abgeschlachtet. Viele junge Frauen und Mädchen wurden dabei vergewaltigt und andere
ungeheuerliche Verbrechen begangen. Kurz danach ergriff die ganze schutzlose und in Panik
geratene Tschambevölkerung die Flucht über die Berge nach Albanien. Der Tschameria-Verein in
Tirana schätzt, dass während der Angriffe auf Tschamdörfer in den Jahren 1944-1945 insgesamt
2.771 albanische Zivilisten zum Opfer fielen.
Die Säuberung der muslimischen Tschamen am Ende des Zweiten Weltkriegs zeichnete das Ende
eines schmerzlichen Kapitels ihrer Geschichte und den Anfang eines anderen.
Kurz vor der Ankunft der erschöpften und hungernden Tschamen hatte in Albanien Enver Hoxha
(1908-1985) und seine kommunistischen Partisanen die Macht ergriffen. Die neuen marxistischen
Machthaber waren nicht besonders geneigt, ihren leidenden Brüdern und Schwestern aus der
Tschameria zu helfen. Nichtsdestotrotz erhielten die Tscham-Flüchtlinge eine Aufenthalts-
genehmigung und durften bleiben. Unterstützt wurden sie nicht von der kommunistischen
Regierung sondern von der UNO-Hilfsorganisation UNRRA (United Nations Relief and
Rehabilitation Administration), welche von September 1945 bis zum Frühjahr 1947 in Albanien
tätig war und welche die in Lagern in Vlora, Fier, Durrës, Kavaja, Delvina und Tirana weilenden
Tschamen mit Zelten, Lebensmitteln und Arznei ausstatteten und versorgten.
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg startete ein Antifaschistisches Komitee der Tscham-
Einwanderer eine Kampagne für die Rückkehr der Tschamen in ihre Heimat. Angesichts der
Schreckensherrschaft und der stalinistischen Säuberungen in Albanien wollten die meisten
Tschamen im Lande eh nicht bleiben. Im Jahre 1945 veranstaltete das Komitee zwei Kongresse,
einmal in Konispol und einmal in Vlora, verfasste Rundschreiben und verschickte Telegrame zur
Unterstützung ihrer Ziele. Die Tschamfrage kam 1946 auch bei der Pariser Friedenskonferenz kurz
zur Sprache. Nichtsdestotrotz erwiesen sich diese Bemühungen als umsonst. Alle Versuche der
Tschamfrage auf der internationalen Bühne Gehör zu verschaffen, scheiterten. Einige Jahre lang
hofften die Tschamen weiter, dass sie nach Beruhigung der politischen Lage in ihre Heimat
zurückkehren könnten. Ihre Hoffnung war umsonst. Auch heute im einundzwanzigsten Jahrhundert
werden ältere Tschamen, die ihre Heimat nur einmal besuchen möchten, von griechischen Zöllnern
an der Grenze zurückgewiesen. Ihre Pässe werden mit persona non grata gestempelt oder vor ihren
Augen zerrissen.
Die vorliegende Fotosammlung wurde 1945 in und um den Flüchtlingslagern der Tschamen in
Südalbanien von Mitarbeitern der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation
Administration) aufgenommen. Sie wird im Archiv der Vereinten Nationen aufbewahrt.