Die Fotosammlung der Edith Durham

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Albanien, Montenegro und Kosovo, 1903 - 1913

Mary Edith Durham (1863-1944) stammte aus einer großen, wohlhabenden Familie in Nord- London. Ihr Vater war Chirurg im Guy’s Hospital. Edith war die älteste von neun Geschwistern, drei Brüdern und sechs Schwestern. In der Familie hatte Edith Durham den Spitznamen Dickie. Sie studierte am Bedford College in London (1878-1882) und qualifizierte sich anschließend an der Königlichen Akademie der Künste als Malerin und Zeichnerin. Während dieser Zeit fertigte sie im Jahr 1899 die Illustrationen für einen Band der Reihe Cambridge Natural History, und hinterließ in späteren Jahren viele Skizzen und zahlreiche Gemälde mit südosteuropäischer Thematik. Als letzte noch im Hause lebende Tochter gebührte es Edith, sich um ihre kranke Mutter zu kümmern. Diese Aufgabe und die dazugehörigen persönlichen Einschränkungen gipfelten in einer psychischen Krise. Zu ihrer Genesung empfahl der Arzt eine Reise. Die 37-jährige Edith zögerte nicht lange. Mit einer Begleiterin reiste sie im Jahre 1900 an die Adria, und fuhr mit einem Dampfer nach Kotor im heutigen Montenegro. Sie war begeistert und kehrte zum Leben zurück. Im folgenden Jahr reiste sie längere Zeit durch Montenegro. Bis zum Ersten Weltkrieg verbrachte sie jährlich mindestens zwei Monate auf dem Balkan, der zu ihrer Leidenschaft und ihrem Lebensziel wurde. Nachdem sie in London etwas serbisch gelernt und mehr über die Geschichte des Balkans gelesen hatte, reiste Durham im Jahre 1902-1903 nach Serbien, um Material für ihr erstes Buch Through the Lands of the Serb [Durch die Länder des Serben], London 1904, Neuausgabe 2015, zu sammeln. Sie besuchte dabei auch Shkodra (Skutari) und Kosovo, beide noch im damaligen Osmanischen Reich. Dies waren außergewöhnliche Unternehmungen, insbesondere für eine allein reisende Frau, die viel Mut und viel Durchhaltevermögen forderten. Beides hatte Durham. Ende 1903 reiste Durham für fünf Monate wieder nach Südosteuropa, um für das britische „Mazedonische Hilfskomitee“ tätig zu sein. Diese Reise und die unsäglich miserable humanitäre Lage im aufständischen Gebiet von Mazedonien werden in ihrem Buch The Burden of the Balkans [Die Last des Balkans], London 1905, Neuausgabe 2015, zusammen mit ihrer ersten ausführlichen Reise durch Süd- und Mittelalbanien geschildert. In den nächsten Jahren reiste Durham durch Montenegro, Bosnien und die Herzegowina, um ethnographisches Material zu sammeln, das viel später in ihrem Buch Some Tribal Origins, Laws and Customs of the Balkans [Einige Stammesursprünge, Gesetze und Gebräuche des Balkans], London 1928, zur Geltung kommen sollte. Die expansionistische Politik Serbiens und Montenegros führte dazu, dass sie diesen Ländern allmählich den Rücken kehrte, um ihre Aufmerksamkeit und ihre Sympathien zunehmend Albanien und den wilden Albanern zu widmen. Im Sommer 1908 reiste Durham nochmals nach Montenegro und Shkodra und von dort aus durch die wilden nordalbanischen Berge nach Kosovo, eine Fahrt, die sie in ihrem meistgelesenen Buch High Albania [Das albanische Hochland], London 1909, Neuausgabe 2015, schildert. High Albania gilt unter vielen Beobachtern auch heute noch als das schönste Buch, das je über Albanien geschrieben wurde. Wegen ihrer zunehmenden Unterstützung der albanischen Sache erfreute sich Edith Durham unter den Nordalbanern großer Beliebtheit. In den Bergen wurde sie bald als Kraljica e malesorëvet [Königin der Hochlandstämme] bekannt. Es verbreiteten sich sogar Gerüchte, sie sei die Schwester des Königs von England. Ihr nächstes Buch, The Struggle for Scutari (Turk, Slav and Albanian) [Die Kampf um Skutari (Türke, Slawe und Albaner)], London 1914, Neuausgabe 2015, richtete sein Augenmerk, in der Zeit der albanischen Unabhängigkeitserklärung, auf die blutige montenegrinische Belagerung Shkodras. Es war ihr bis dahin anspruchsvollste Werk, eine erschütternde Schilderung von Krieg, Hungersnot und menschlichem Elend. Um die Zeit der Belagerung besuchte sie auch Südalbanien, und erfuhr dabei, dass die Lage im griechisch besetzten Süden des Landes keineswegs besser war. Nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlichte Durham das Buch Twenty Years of Balkan Tangle, London 1920 Neuausgabe 2015, deutsch unter dem politisierten Titel Die slawische Gefahr: Zwanzig Jahre Balkan-Erinnerungen (Stuttgart ca. 1923). Dieses Werk gilt als Krönung und Synthese ihrer Arbeit. Es umfasst den Zeitraum von 1900 bis zum Ersten Weltkrieg und kann gewissermaßen als ihre Lebenserinnerungen betrachtet werden. Edith Durham besuchte den Balkan zum letzten Mal im Jahre 1921. Danach wollte sie solche Strapazen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auf sich nehmen. Allerdings engagierte sie sich über die nächsten zwei Jahrzehnte weiterhin für Albanien. Durham war Gründungsmitglied der Anglo-Albanian Association. Sie verfasste zahlreiche Zeitschriftenartikel und endlose „Briefe an den Herausgeber“, um ihr abwegig erscheinenden Meinungen entgegenzutreten und um Aufmerksamkeit auf das kleine Albanien zu lenken. Sie verfasste zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze zu albanischer und montenegrinischer Volkskunde, Balkangeschichte und Politik. Veröffentlicht wurden diese zu einem guten Teil in dem Band The Blaze in the Balkans: Selected Writings, 1903-1941 [Brand auf dem Balkan: Ausgewählte Schriften, 1903-1941], London 2014. Teilübersetzungen ihrer Bücher befinden sich auch in dem Band Edith Durham - Durch das Land der Helden und Hirten: Balkanreisen zwischen 1900 und 1908 (Wien 1995). Nicht zu vergessen ist ihr damals umstrittenes Buch The Serajevo Crime [Verbrechen in Sarajevo], London 1925, das sich mit dem Hintergrund der Ereignisse beschäftigte, die den Ersten Weltkrieg auslösten. In späteren Jahren war ihr Haus in London Sammelpunkt für die Freunde Albaniens und für Exil- Albaner. Sie starb im November 1944, zwei Wochen vor der kommunistischen Übernahme Albaniens. Die Fotosammlung von Edith Durham Edith Durham kaufte sich vor ihrer ersten Reise auf dem Balkan, im Frühjahr oder im Sommer 1900, eine neue Kodak Brownie. Diesen handlichen Fotoapparat nahm sie scheinbar auf allen ihren Reisen nach Südosteuropa mit. Es sind ca. 450 Fotografien des Balkans erhalten, die im Königlichen Anthropologischen Institut in London, im Britischen Museum in London und im Pitt Rivers Museum in Oxford aufbewahrt sind. Wir sind dem Königlichen Anthropologischen Institut zu Dank verpflichtet, dass wir eine kleine Auswahl dieser seit hundert Jahren in Vergessenheit geratenen Bilder hier zeigen können. Robert Elsie
Robert Elsie Frühe Fotografie in Albanien Photos