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Robert Elsie

Frühe Fotografie in Albanien

 
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Die Fotosammlung
des Wilfried Fiedler
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Albanien im Jahre 1957

Prof. Dr. Wilfried Fiedler (geboren 1933 in Oberfrohna, Chemnitz) ist einer der wichtigen und bekanntesten Albanologen des deutschen Sprachraums in Fortführung der großen Tradition von Gustav Meyer, Norbert Jokl und Maximilian Lambertz.

Nach Abschluss seines Slawistik-Studiums 1955 begann er als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Volkskunde an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin zu arbeiten. Während dieser Zeit studierte er zum ersten Mal die albanische Sprache, um an der deutsch-albanischen Expedition von Erich Stockmann und Ramadan Sokoli nach Albanien im Jahr 1957 teilzunehmen. Resultat dieser ethnographischen Grundlagenforschung war der Band “Albanische Volksmusik – Die Lieder der Çamen”, deren Texte von Prof. Fiedler analysiert und übersetzt wurden. Nach dieser Expedition setzte sich Fiedler intensiver mit der albanischen Sprache und der Albanologie auseinander.

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Wilfried Fiedler (Photo: Robert Elsie, November 2003) WF000-2:
Wilfried Fiedler in Saranda in 1957 WF001:
A beggar in Tirana (Photo: Wilfried Fiedler, ca. 1957) WF002:
A young man playing a çiftelia (Photo: Wilfried Fiedler, ca. 1957) WF003:
Young men in Koplik (Photo: Wilfried Fiedler, ca. 1957) WF004:
A young woman at Shkodra market (Photo: Wilfried Fiedler, ca. 1957) WF005:
Scene at the Old Bazaar in Tirana (Photo: Wilfried Fiedler, ca. 1957) WF006:
Northern Albanian woman wearing a xhubleta skirt (Photo: Wilfried Fiedler, ca. 1957) WF007:
Peasant with an oxcart in Kavaja (Photo: Wilfried Fiedler, 1957) WF008:
Peasants in Divjak (Photo: Wilfried Fiedler, 1956) WF009:
View of Gjirokastra (Photo: Wilfried Fiedler, 1956) WF010:
Scene at a fountain in Xarra near Saranda (Photo: Wilfried Fiedler, 1957) WF011:
A hodja in the streets of Kruja (Photo: Wilfried Fiedler, 1956) WF012:
Men showing off their ploughing equipment near Pogradec (Photo: Wilfried Fiedler, 1956) WF013:
A traditional home in Mallakastra (Photo: Wilfried Fiedler, 1957) WF014:
Buffalo cart on the road to Elbasan (Photo: Wilfried Fiedler, 1956) simple jquery lightboxby VisualLightBox.com v5.9

Im Jahr 1959 wurde Fiedler an der Humboldt-Universität Berlin Dozent für Albanisch und seit 1968 arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Sprachinstitut der Akademie der Wissenschaften der DDR. Zusammen mit Dr. Oda Buchholz leitete er dort bis 1989 den Bereich Balkanologie.

1989 folgte er Prof. Martin Camaj als Lehrstuhlinhaber der Professur für Albanologie an die Universität München. Nach seiner Emeritierung 1998 arbeitet Fiedler bis heute als auswärtiger Professor für Albanisch am Institut für Südosteuropastudien an der Universität Jena. Prof. Fiedler ist korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Künste des Kosovo.

Die Liste seiner Publikationen umfasst neben seinen monumentalen Monographien über die Pluralbildung im Albanischen und das Verbensystem von Buzuku auch mehr als 150 wissenschaftliche Artikel sowohl aus dem Bereich des Albanischen als auch der Balkansprachen allgemein.

Im Fokus seines aktuellen Interesses stehen nicht nur das Gegenwartsalbanisch, wofür er zusammen mit Oda Buchholz eine deskriptive Grammatik verfasste, sondern auch die unterschiedlichen Entwicklungsstadien vom Altertum sowie seine Beziehungen zu anderen Balkansprachen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden seine Studien zum Gegischen älterer albanischer Autoren. Fiedler ist Mit­herausgeber des Standardwörterbuchs Albanisch-Deutsch / Deutsch-Albanisch.

Neben seinen Verdiensten als Sprachwissenschaftler sind zudem seine Meriten für die Übersetzung bedeutender Werke der albanischen und kosovarischen Literatur ins Deutsche hervorzuheben: dazu zählt unter anderem “Der General der toten Armee” und weitere Erzählungen von Ismail Kadare, der Poesie-Zyklus Palimpsest von Martin Camaj sowie Poesie von Ali Podrimja. In diesem Sinn ist Fiedler einer der wichtigsten Vermittler albanischer Kultur in Mitteleuropa. Derzeit arbeitet Prof. Fiedler an einer vergleichenden Studie der grammatischen Systeme der Balkansprachen, wobei das Albanische und seine Beziehungen zu anderen Balkansprachen eine besondere Rolle einnehmen.

Die Sammlung Fiedler

Die Privatsammlung des Balkanologen, Albanologen und Volkskundlers Prof. Dr. Wilfried Fiedler ist ein intimes fotografisches Reisetagebuch einer persönlichen Albanien-Faszination und gleichzeitig ein wertvoller zeitgeschichtlicher Fundus. Er erlaubt es uns nach mehr als 50 Jahren einen faszinierenden Blick auf das dörfliche Albanien zu Beginn der kommunistischen Herrschaft zu werfen - und das in Farbe - eine Technik, die den albanischen Fotografen der Zeit nicht zur Verfügung stand.

Der gesamte fotografische Fundus umfasst die ersten drei Aufenthalte von Wilfried Fiedler in Albanien: im November-Januar 1956-57, im Mai-August 1957 und nochmals im Sommer 1959. Einen Schwerpunkt bildet dabei das Jahr 1957, in dem Fiedler an der von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Staatsuniversität Tirana durchgeführten, und von Erich Stockmann und Ramadan Sokoli geleiteten, Meilenstein-Expedition zur systematischen Erforschung der albanischen Musiktraditionen teilnahm. Die Expedition bildet ein Musterbeispiel für die engen Wissenschaftskontakte zwischen der DDR und Albanien, die 1961 mit dem Bruch zwischen Albanien und dem Ostblock jäh unterbrochen wurden.

Die Sammlung Fiedler bildet einen Korpus von 635 Fotografien (389 Farbdias und 246 Schwarz-Weiß Dias) größtenteils auf Agfacolor bzw. Agfa Isopan F/Rapid. Komplementär zur Sammlung Fiedler sind 292 Dias (Sammlung Stockmann Ident-Nr. VII N 2) im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Phonogramm-Archiv. Die Sammlung wurde im Oktober 2013 im Rahmen eines von der Deutschen Botschaft in Albanien geförderten audiovisuellen Projekts unter dem Titel "Echos der Vergangenheit-Stimmen der Zukunft - Die Sammlung Fiedler" (Kurator: Dr. Eckehard Pistrick) erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht:

www.tirana.diplo.de/Vertretung/tirana/de/...

Durch seine Praktika-Kleinbildkamera betrachtet der junge Volkskundler die balkanische Welt mit neugierigen Augen und hält Schlüsselszenen des albanischen Alltags fotografisch fest: ob auf dem Bauernmarkt in Fier, beeindruckt von den majestätischen Bergen oder bei einer pittoresken Zeremonie der tanzenden Derwische der Rifai-Sekte in Shkodra. Für Fiedler ist Albanien auch ein „open air“ Museum materieller Kultur: immer wieder werden Werkzeuge, Techniken und landwirtschaftliche Produkte vor seiner Linse präsentiert. In einige Fällen gelingen Fiedler auch eindrucksvolle Porträts. Ganz nebenbei dokumentieren die Fotos von Fiedler auch den Zustand wichtiger religiöser Kultstätten, von denen viele 1967 zerstört oder entweiht wurden.

Besonders fasziniert war Fiedler offenbar von den historischen Stätten Albaniens: mehr als die Hälfte aller Fotografien der Sammlung sind der Architektur der Städte Gjirokastra, Berat und der antiken Stätte Butrint gewidmet. Andere Fotografien reihen sich in die balkanistische Perspektive der Publikationen von Bernatzik (1930) Wallisch (1931) oder Koch (1941) ein: pittoreske Szenen, exotische Minderheiten wie Aromunen oder Zigeuner, Marktszenen und Kostüme unterschiedlicher Regionen.

Bei Fiedler tauchen aber immer wieder auch flüchtige Alltagsmotive auf, die zwischen traditionsverbundener Vergangenheit und kommunistischer Gegenwart stehen – und fast surreal wirken: Da sind die zwei Männer am Rinnstein in Kruja die sich gerade eine Zigarette angesteckt haben und den Ankömmling neugierig über ihre Schulter betrachten. Da ist die Freiübung einer Zeichenklasse in einem Park der Hauptstadt Tirana: Fiedler wird Zeuge wie eine traditionelle gekleidete Frau zum folkloristischen Objekt wird.

Fiedler lässt das Flüchtige, Schemenhafte zur Fotografie werden: beinahe schon experimentell ist sein Foto durch die Scheiben eines Autobusses: man erkennt nichts Konkretes nur Schemen und die Silhouette eines Klarinettenspielers – Stimmungsfotografie statt Dokumentarismus.

Anhand kleiner Zeichen wir sichtbar, dass sich der Fotograf hier nicht in einer „terra incognita“ bewegt sondern in einer Landschaft im sozio-kulturellen Veränderungsprozess: Propagandaplakate, Tafeln mit staatlich festgelegten Lebensmittelpreisen, Graffiti an Häuserwänden „Freundschaft mit der Sowjetunion“, aus Steinen gelegte Parolen auf Enver Hoxha, ein Folklore-Ensemble auf einem Sportplatz und die Errichtung der sogenannten „deutschen Häuser“ vor den Toren Tiranas zeugen davon. Der Vergleich mit professionellen Fotografen der Zeit wie dem Ungarn Karol Kállay, der 1957 in Albanien war, lohnt. Er zeigt, dass neben dem ethnologisch-dokumentarischen Wert viele der Aufnahmen Fiedlers auch aus künstlerischer Sicht hochwertig sind. Fiedler wählt ungewöhnliche fotografische Motive, zeigt Sinn für das Pittoreske, bedient sich aber auch bei der tradierten „Typenfotografie“. Ein besonderes Faible für poetische Stimmungen durchzieht viele seiner Landschaftsaufnahmen.

Reproduktion der Fotos mit freundlicher Erlaubnis von Wilfried Fiedler

© alle Rechte vorbehalten.

Dr. Eckehard Pistrick
Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg

 

 

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